Früher verdiente er seinen Lebensunterhalt als Händler in Rakka, heute ist er einer der wichtigsten Kommandeure der Freien Syrischen Armee. Ohne ihn und seine Männer wäre die monatelang von ISIS belagerte Stadt Kobane vielleicht gefallen. Dieser Mann steht auf der Todesliste von ISIS ganz oben.
► Wie wurde Abu Issa, der eigentlich Ahmed Othman heißt, zu einem der bekanntesten Rebellenführer Syriens?
„Ich komme aus Rakka und habe dort als Händler gearbeitet“, erzählt er im BILD. 2011 sah er die Bilder der großen Demonstrationen in Dara’a und Homs. „Das Regime schoss mit Scharfschützen auf die friedlichen Teilnehmer. Da fasste ich den Entschluss, mich der Revolution anzuschließen.“ Zweimal wurde Abu Issa vom Regime verhaftet und gefoltert.
„Am 25. Juni 2012 habe ich dann mit einigen Freunden eine Gruppe der Freien Syrischen Armee gegründet. Wir wollten uns gegen das Regime zur Wehr setzen.“ Schnell wuchs die Gruppe, die sich fortan Brigade der Revolutionäre aus Rakka nannte.
„Wir erbeuteten Waffen von den Regime-Soldaten, bekämpften Assads Armee in Slouak, in Tel Abyad und in Rakka. Unsere Gruppe konnte das Zentralgefängnis in Rakka befreien.“
Gemeinsam mit anderen Gruppen gelang es, Assads Armee schließlich vollständig aus Rakka zu vertreiben. Eine Gruppe, die sich während der Kämpfe eher zurückhielt, sich aber in Rakka festsetzte, war ISIS …
„Sie begannen, die Bevölkerung zu schikanieren und Zivilisten hinzurichten. Ich habe sie mehrfach gewarnt, dass wir gegen sie vorgehen, wenn sie damit nicht aufhören“, sagt Abu Issa. Doch die Terrormiliz wusste, dass sie besser ausgerüstet war und wartete auf den richtigen Zeitpunkt, um die Macht in der Stadt zu übernehmen. „Sie haben uns angelogen und immer wieder neue Ausflüchte gesucht und Intrigen gesponnen.“
Schließlich kam es zu ersten Gefechten zwischen ISIS und den Rebellengruppen. „Nachdem wir einige der Islamisten getötet hatten, kam es vom 1. bis zum 13. Januar 2014 zu einem großen Kampf in Rakka.“ ISIS wollte alle anderen Gruppen aus der Stadt vertreiben.
Einige Nusra-Kämpfer schlossen sich ISIS an, der Rest floh nach vier Tagen aus der Stadt, ebenso die Kämpfer der Ahrar ash Sham, einer der größten Rebellengruppen. „Wir waren auf uns allein gestellt im Kampf gegen ISIS“, sagt Abu Issa. Nach weiteren Tagen des Kampfes mussten er und seine Männer den besser ausgerüsteten Islamisten weichen.
Es folgten Wochen von Rückzugsgefechten gegen ISIS. In den Kurdengebieten in Nordsyrien schlossen sich Abu Issas Gruppe und einige andere FSA-Brigaden mit kurdischen Kämpfern der Volksverteidigungseinheiten zusammen. Die neue Gruppe nannte sich Burkan al Furat, Vulkan des Euphrats. Ihr Ziel: Den Norden Syriens gegen ISIS zu verteidigen. Doch die Dschihadisten, die im Irak schwere Waffen der geflüchteten irakischen Armee erbeuteten, rückten scheinbar unaufhaltsam vor.
Der Mann, der ihnen schon in Rakka die Stirn bot und nun das erfolgreiche Bündnis zwischen Kurden und FSA schmiedete, ist ISIS besonders verhasst: Als Abu Issa von einem Besuch in der türkischen Grenzstadt Sanliurfa zurückkehrte, überfielen ihn ISIS-Terroristen, entführten ihn und seinen Sohn. Doch der Plan, ihre Geisel nach Syrien zu bringen, scheiterte an türkischen Grenzsoldaten. Abu Issa konnte sich befreien, wurde bei einem Schusswechsel verletzt. Doch zum Auskurieren der Verletzung blieb kaum Zeit.
Im September drängte ISIS die Verteidiger in die Grenzstadt Kobane zurück. Trotz Luftschlägen der internationalen Koalition drangen die Islamisten schließlich in die Stadt vor, ein wochenlanger blutiger Häuserkampf folgte.
„Kobane war eine der größten Schlachten in Syrien“, sagt Abu Issa. „Sie haben unablässig Kämpfer in die Stadt geschickt, Welle auf Welle.“ Wie wichtig die Einnahme der Stadt für ISIS war, habe auch die enorme Anzahl an Selbstmordattentätern gezeigt, die sich in Kobane in die Luft sprengten.
Doch die 350 Kämpfer der FSA kämpften verbissen, gruben sich in Kobane ein. Besonders kritisch wurde es, als einige ISIS-Terroristen von der türkischen Seite der Grenze aus angriffen, den Verteidigern in den Rücken fielen. Abu Issa war mit seinen Männern zur Stelle.
Ein verwackeltes Video zeigt, wie der FSA-Kommandeur die Dschihadisten zurückgedrängt hat.
Schließlich konnte ISIS im Januar komplett aus Kobane vertrieben werden.
Die Moral seiner Männer sei nach dem hart erkämpften Sieg hoch, sagt Abu Issa: „Wir hoffen, ISIS weiter zurückdrängen zu können und irgendwann ganz zu besiegen.“ Dafür bräuchten sie jedoch schwere Waffen, um den Islamisten etwas entgegenzusetzen, die über Artillerie (unter anderem im Irak erbeutete amerikanische M198-Haubitzen), Panzer (T-72) und gepanzerte Fahrzeuge wie Humvees und Truppentransporter verfügen. Bisher haben sie anders als die Dschihadisten keine Waffenhilfe aus dem Ausland bekommen.
Abu Issa hofft zudem, dass die verschiedenen FSA-Fraktionen im ganzen Land sich verständigen: „Wir stehen in Kontakt mit Kämpfern in Manbij und Deir ez Zor. Nur gemeinsam können wir gegen ISIS und das Assad-Regime kämpfen.“
Nach Kobane erhalte seine Gruppe starken Zulauf: „Durch die Nachricht von unserem Sieg und ISIS’ schwerer Niederlage schließen sich uns viele Kämpfer an.“ Man habe gezeigt, dass ISIS nicht unbesiegbar sei.
► Was ist seine Hoffnung für die Zukunft?
„Ich will Rakka von ISIS befreien und mit meiner Familie zurückkehren.“ Abu Issas Haus wurde vom Assad-Regime abgebrannt, ISIS riss dann die verbliebenen Teile ab. „Ich will einfach wieder nach Hause und ein normales und friedliches Leben mit meiner Familie und meinen Freunden führen“, sagt der FSA-Kommandeur.
„Syrien soll frei sein und vereinigt. Wir wollen ein Syrien für alle, in dem jeder die gleichen Rechte hat und alle Minderheiten beteiligt sind.“ Wenn Frieden herrsche, könnten auch die Flüchtlinge in ihr Heimatland zurückkehren. „Ich hoffe auf Frieden für Syrien und die Welt“, sagt Abu Issa. „Keinem Land auf der Welt soll das widerfahren, was in Syrien passiert ist.“
Quelle : http://m.bild.de/politik/ausland/syrien/abu-issa-setzt-sich-fuer-ein-freies-syrien-ein-40144098,variante=L,wantedContextId=40144154.bildMobile.html